Thema Mundan-Astrologie
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Neptun im Skorpion
(1793-1806)
Die folgenreichste psychologische Erscheinung des frühen 19. Jahrhunderts war die Entstehung und Ausbreitung des poetischen Satanismus und die Tatsache, daß der Schriftsteller eine starke Affinität zum Teufel verspürte und sich bereitwillig auf seine Seite schlug. So gesehen erscheint der Romantizismus teilweise als eine Umwandlung von Werten. Der Künstler erkannte im Laufe des 18. Jahrhunderts und ganz plötzlich nach der Französischen Revolution, daß er von der sozialen Organisationsstruktur ausgeschlossen war. Bis dahin hatte er seinen festumrissenen und von ihm selbst nie in Frage gestellten Platz innerhalb der Gesellschaft gehabt.... Als aber die Trennung von der gesellschaftlichen Struktur vollzogen und der Schriftsteller plötzlich ganz auf sich gestellt war, erlebte er zum ersten Mal, was es bedeutete, von Sorgen erfüllt und nicht gebunden zu sein, Angst zu verspüren und stolz darauf zu sein, daß er isoliert oder, wie er es formulierte, unverstanden war. In der Konfrontation mit den Problemen wuchs nun auch sein Ehrgeiz, sie zu lösen. Da er keinen bestimmten, von der Gesellschaft anerkannten Platz mehr hatte, beanspruchte er sie alle, jedoch im Grunde ohne die Absicht, einen bestimmten von ihnen einzunehmen und sich dort zu einem Experten zu entwickeln... Schon schwang er sich zum Nebenbuhler der Mächtigen auf, wobei er Gefahr lief, sich ihren Zorn zuzuziehen: er empfand sie bereits als einengende Gewalt. Damit war der Intellektuelle geboren, ein bis dato nicht vorstellbarer Menschentyp, der Unparteilichkeit in seiner Arbeit anstrebte, es aber nicht verschmähte, dem Volk auf dem Marktplatz zuzuhören... (Roger Caillois: Die Geburt Luzifers.)
Wir hatten uns unter der Waage nicht über die Kunststile ausgelassen, denn es sieht so aus, als hätten diese unter ihr kein zeichentypisches Gesicht, was daran liegen mag, daß der Waage ohnehin die Venus zugeordnet ist. Den Übergang von der Waage zum Skorpion können wir aber zum Beispiel recht deutlich im Werk Goyas erkennen, sofern es seine direkten Auftragsarbeiten anging (denn offenbar ist eben niemand persönlich gezwungen, den mundanen Konstellationen zu entsprechen, es sei denn, es geht ihm um öffentliche Resonanz). Ab 1793 bekommen seine bis dahin noch relativ freundlichen Bilder - merkwürdigerweise protestierten seine von ihm portraitierten Kunden nicht gegen die bloßstellende Weise ihrer Darstellung - einen deutlichen Zug ins Düstere. Irgendwie war das aber bei ihm auch schon vorher latent angelegt, und deshalb liefert uns sein Werk insgesamt bereits eine gute Vorstellung dessen, was wir uns unter Neptun im Skorpion vorzustellen haben. Unter der Waage lauteten die Titel seiner Bilder etwa noch Die Blumenverkäufer, Die Schaukel, Das Blinde-Kuh-Spiel, unter dem Skorpion lauten typische Titel: Geisslerprozession und Das Irrenhaus. David malte 1793 sein Bild Der ermordete Marat, und Füssli seinen Eselskopf (man muß ihn kennen, um seine Skorpion-Zuordnung zu verstehen!) sowie Satan und Tod usw. In der Literatur wurde man zunehmend auch gegenüber dem Thema Sexualität freizügiger. Im Jahre 1795 z.B. veröffentlichte in Deutschland Ludwig Tiek Die Geschichte des Herrn William Lovell, in dem offen über dessen diesbezügliche Erlebnisse und Phantasien gesprochen wurde. Das lag insofern in der Zeit, als mit dem Machtverlust der Kirche auch die ganze Moral freier wurde und viele sich als Herren ihrer eigenen Moral und eigener Gesetze erachteten. Gleichfalls hierher gehören die im Jahr 1805 erschienenen noch viel radikaleren Nachtwachen, die uns eine sehr gute Vorstellung der skorpionischen Seite der Romantik geben können, eines anonymen Autors, dessen Pseudonym Bonaventura trotz vieler Zuordungsversuche nie enttarnt wurde.
Am 3. September 1792 wurde der Marquis de Sade Sekretär der Section de Piques, des für ihn zuständigen Gemeindeamtes, und wenig später in dieser Sektion Richter und sogar Gerichtsvorsitzender: Neptun war nämlich schon im Januar 1792 auf 29°50' Waage gekommen, also dicht vor den Skorpion, in den er nach einer Rückläufigkeitsphase endgültig ab dem 2.11.1792 eintrat. De Sade hatte bis dahin bereits etwa 17 Jahre hinter Gefängnismauern verbracht, und erst jetzt wollte man ihm sozusagen gestatten, das, was er bis dahin nur literarisch praktiziert hatte, in die Tat umzusetzen. Doch zeigte sich hier etwas, was ihn selbst möglicherweise überraschte: er war gar nicht so böse, wie man ihn - mit seiner Nachhilfe allerdings - stilisiert hatte. Der Nachwelt ist sein Name als Sadismus ein Synonym für Perversion und Grausamkeit geworden, aber in Wirklichkeit war er eher ein tragisches Opfer seiner Zeit. Sicher hatte er in seiner Jugend ein wüstes Leben geführt, und sein Hang zu sexuellen Perversionen ist offenbar unbestreitbar, doch war er darin zu seiner Zeit besonders unter seinen adeligen Standesgenossen keine Ausnahme. Zu seinem schlechten Ruf war er eher deshalb gekommen, weil er Skandale geradezu gesucht oder sie entweder willentlich oder ungeschickterweise nicht vermieden hatte, und weil einerseits das immer selbstbewußter werdende Bürgertum in ihm den Sack schlug, während es den Esel - nämlich den Adel insgesamt - meinte, und andererseits die Aristokratie einen Sündenbock brauchte, um von ihren eigenen Verfehlungen abzulenken (besonders Ludwig XV. neigte dazu). De Sade hatte vor allem als Sonderling keinerlei Freunde bei Hofe, die sonst wie üblich jeden Angriff auf ihn beizeiten abgewürgt hätten, sondern er hatte dort im Gegenteil mächtige Feinde. Vor allem seine dem bloßen sog. Roben-"Adel" angehörende Schwiegermutter gehörte dazu, deren Feindschaft er sich dadurch zugezogen hatte, daß er auch ihre jüngere Tochter, also seine Schwägerin, verführt hatte - und zwar wiederum derart, daß die Sache zu einem öffentlichen Skandal wurde, womit die Heiratschancen des Fräuleins aussichtslos wurden. Seine Schwiegermutter vor allem war es gewesen, die ihn ins Gefängnis gebracht hatte, wo er erst der Schriftsteller wurde, der er für die Nachwelt ist. Nun aber kamen ihm gerade die Akten seiner Schwiegereltern auf seinen Richtertisch, und er hätte leicht seine Unterschrift unter ihr Todesurteil setzen können, aber er legte diesen Vorgang solange beiseite, bis den Kandidaten die Flucht ins Ausland gelungen war. De Sade war allerdings inzwischen die wahre Natur des neuen Regimes zu Bewußtsein gekommen, nachdem er zuvor die Revolution herbeigesehnt hatte. Als jetzt aber die Guillotine immer schneller arbeitete, wollte ihm das, was er in seinen Romanen so drastisch beschrieben hatte, nicht mehr gefallen, nachdem es Wirklichkeit geworden war. Hierin lag offenbar der Unterschied zwischen ihm und seinen Zeitgenossen: während er die Grausamkeit des Menschen um der Wahrhaftigkeit Willen immer drastisch ausgemalt und sie auch theoretisch zu begründen versucht hatte, zeigte sich jetzt, wie sehr Recht er damit hatte, soweit es die Natur seiner Mitmenschen betraf, während er sich bezüglich seiner eigenen getäuscht hatte. Vielleicht lag hierin das eigentliche Mißverständnis seines ganzen Lebensdramas: sie nämlich wollten es nicht wahrhaben, weil sie sich entlarvt fühlen mußten, während er es nicht als einen wirklichen Teil seiner selbst empfand, weil er es literarisch kompensieren konnte. Sollte man dem Bürger nicht wirklich das gleiche Recht auf seine vielleicht notwendige Lebenslüge geben wie dem Dichter sein Recht auf die Wahrheit? Vermutlich muß das gegenseitige Rollenspiel so sein.
Hier aber hatte De Sade reichlich Gelegenheit, die Realität der menschlichen Natur zu studieren, denn die Guillotine hörte erst auf zu wüten, nachdem Zehntausende von Menschen durch sie getötet worden waren und das Volk dieses Schauspieles allmählich überdrüssig wurde. Es scheiterte dann an der nachlassenden Resonanz und offenbar an nichts anderem. Wem dieser Gedanke unerträglich ist, der kann sich damit trösten, daß die Menschen nicht immer die gleichen sind, denn ihre Natur ändert sich offenbar mit den planetaren Konstellationen - und überhaupt: muß uns die astrologische Erfahrung nicht grundsätzlich an der Selbstbestimmtheit des Menschen zweifeln lassen? Unter Neptun im Skorpion aber trat die französische Revolution in ihre schlimmste Phase. Das Volk umlagerte die Guillotinen, die nun an mehreren Stellen in Paris und anderen französischen Städten gleichzeitig arbeiteten. Natürlich war es der blanke Sadismus, und das heißt auch eine Art sexueller Erregung, der sie veranlaßte, sich nicht die geringste Kleinigkeit entgehen zu lassen, während die Opfer die Stufen zum Schafott bestiegen, lustvoll aufzujohlen, wenn die blutigen Köpfe die dafür bereitgehaltenen Körbe verfehlten und zu ihren Füßen rollten, und mit den Henkern gröhlend zu lachen, die den schon gefesselten Frauen noch einmal die Röcke hoben. Dachte im Publikum niemand daran, daß er morgen schon selbst an der Reihe sein konnte, da ja im völligen Gegensatz zu den Erklärungen der Menschenrechte jetzt nur die geringste Denunziation dazu reichte, das Todesurteil auszustellen, oder bereitete dieser Gedanke sogar noch einen zusätzlichen Lustgewinn? Das ist ja die wahre Natur des Skorpionischen!
So kam es zu der paradoxen Situation, daß der Autor des Schrecklichen an der ihn überholenden Wirklichkeit auf eine Weise scheiterte, die bald für ihn selbst lebensgefährlich werden sollte. Denn da er sich als Richter als allzu milde erwies, mußte er sich immer öfter rechtfertigen und wurde schließlich durch einen rigoroseren Kollegen abgelöst. Am 8.12.1793 wurde De Sade unter einem Vorwand selbst verhaftet, der noch paradoxer als der Vorwurf einer zu großen Laschheit bei seinem blutigen Amt war - nein: man warf ihm auch hier bereits wieder zu geringe Gläubigkeit und Atheismus vor - jetzt nämlich gegenüber Robespierres Höchstem Wesen, worüber dieser sich persönlich geärgert hatte, was in diesen Tagen sehr ungesund war. Vorerst kam er aber nur in Haft. "Ist es möglich", hielt der Marquis den Kollegen seiner Sektion vor, "daß die Nation, die meine Ketten zerriß, sie mir nun kaum drei Jahre später von neuem umlegen will?" Nun ja, die Zeiten ändern sich, aber die persönlichen Horoskope nicht! Vielleicht auch mochte mancher seiner Kameraden mit ihm fühlen, aber es wäre jetzt lebensgefährlich gewesen, gegen den jeweiligen Strom zu schwimmen. Der blanke Schrecken und die nackte Angst herrschte in jedem Winkel des Landes, und mancher war schon deshalb überreizt, weil er nachts kein Auge mehr schließen konnte, da die Straßen auch dann noch von dem Geratter der Wagen widerhallten, auf denen die Delinquenten nach einem Schnellgerichtsverfahren zu den nun durchgehend arbeitenden Guillotinen gebracht wurden. De Sade hatte es geschafft, für eine Bestechungssumme in ein Privatkrankenhaus zu kommen, dessen Patienten vorerst unbehelligt blieben, weil man Kranken gegenüber noch einen Rest von Zurückhaltung übte. Doch wurde dann genau vor de Sades Fenster eine große Grube für ein Massengrab ausgehoben. Endlich, am 28. Juli 1794 ereilte die Guillotine auch Robespierre selbst, und ganz Paris atmete auf.
Doch in der Zwischenzeit bis zu Napoleons Machtübernahme wurden die Romane De Sades noch in anderer Hinsicht Wirklichkeit. Niemals zuvor und niemals später nämlich soll es so viele Prostituierte auf den Straßen von Paris gegeben haben. Sogar Kinder ab dem siebenten Lebensjahr boten sich an jeder Ecke an. Da die Polizei andere Probleme hatte und die Menschen oft keine andere Überlebensmöglichkeit sahen, war das eine folgerichtige Entwicklung. Was de Sades weiteres Schicksal anging, so änderte sich dieses prinzipiell auch nach dem Zusammenbruch des Ancien régimes und des Revolutionstribunals nicht, denn das unter Napoleon neu erstandene Bürgertum erwies sich sehr bald als das, was es seitdem immer gewesen ist. So war de Sade wieder der geeignetste Sündenbock, über dessen perverse Phantasie man sich ereiferte - sicher auch viele von denen, die noch kurz zuvor die eifrigsten Zuschauer unter den Guillotinen gewesen waren. Am 6.März 1801 wurde de Sade also wieder verhaftet und erhielt seitdem für weitere 13 Jahre bis zu seinem Tode nie wieder seine Freiheit, nur steckte man ihn einer neuen Methode des napoleonischen Polizeiministers Fouché entsprechend statt ins Gefängnis ins Irrenhaus von Charenton. Dort allerdings erhielt er die Erlaubis, mit Hilfe seiner Mitpatienten als Laienschauspielern mehrere seiner Stücke zu inszenieren, die bald - nach dem Eintritt Neptuns in den Schützen! - ein Geheimtip der Pariser Theaterszene wurden.
Rekapitulieren wir den Verlauf der Revolution in der Skorpion-Periode: Ab August 1792 machten die radikal-demokratischen sog. Sansculotten von sich reden (also diejenigen ohne die bisher üblichen Kniehosen), als die die Revolutionäre nun bezeichnet wurden, weil sie beinlange Hosen trugen. Es handelte sich vornehmlich um Angehörige der Unterschichten. Ihr Wortführer war Jean Paul Marat, der nun gemeinsam mit dem neuen Justizminister Georges Jaques Danton einen revolutionären Terror organisierte, um dadurch der neuen radikalen Bergpartei im Nationalkonvent die Mehrheit zu sichern. Die Radikalisierung der Revolution war auch eine Folge der Tatsache, daß sie sich durch die Intervention ausländischer Mächte bedroht sah. Dieser Nationalkonvent erklärte am 20.9.1792 den König für abgesetzt und proklamierte am nächsten Tage die Französische Republik. Der Führer der Bergpartei, Maximilien de Robespierre, erklärte in einer Rede vor der Nationalversammlung, daß es für den König kein Pardon und auch keinen regulären Prozeß geben dürfe, denn "Wenn man vorschlägt, Ludwig XVI. den Prozeß zu machen, so stellt man die Revolution in Frage. Kann er gerichtet werden, so kann er freigesprochen werden. Kann er freigesprochen werden, so kann er unschuldig sein. Ist er aber unschuldig, was wird aus der Revolution?... Ihr habt keineswegs ein Urteil zu fällen, sondern eine Maßnahme des öffentlichen Wohles zu treffen, einen Akt der nationalen Vorsehung zu vollziehen." So wurde über das Schicksal des Königs einfach nur abgestimmt, und mit äußerst knapper Mehrheit und erst nach mehreren Tagen erhielt Robespierres Antrag für die Todesstrafe die Zustimmung des Nationalkonventes. Ludwig XVI. war nach Robespierre "ein König, dessen Name allein schon der Nation den auswärtigen Krieg zuzieht. Weder Gefängnis noch Verbannung können seine Existenz unschuldig machen. Lieber soll Ludwig sterben als Hunderttausende guter Bürger! Ludwig muß sterben, weil das Vaterland leben muß!" Das Todesurteil wurde am 21.1.1793 durch die Guillotine vollstreckt.
Kaum drei Monate später setzte der französische Nationalkonvent als Exekutivorgan den sog. Wohlfahrtsausschuß unter seinem Leiter Danton ein. Dieser Ausschuß erhielt diktatorische Vollmachten im Interesse der nationalen Verteidigung, worunter vor allem die Beseitigung von Volksfeinden gehörte. Damit begann die Schreckensherrschaft der Jakobiner. Zwischen diesen und den Girondisten kam es während des Prozesses gegen den König zur Spaltung. Die Girondisten hatten sich für den König eingesetzt und zettelten in Lyon sogar einen Aufstand gegen die Jakobiner an, um danach Verbindungen zu den Royalisten aufzunehmen. Doch mißtraute ihnen das Volk, weil sie für die Privilegien der Besitzbürger eintraten: Der Nationalkonvent stand seit der Hinrichtung des Königs unter dem Druck der Straße. Anfang Juni 1793 kam es zu einem Aufstand der Pariser Sansculotten gegen die Girondisten. Das führte diesen gegenüber zu einer Stärkung der Jacobiner, die im Oktober 21 Girondisten hinrichteten und danach im Wohlfahrtsausschuß diktatorische Macht ausübten. Es folgten Massenhinrichtungen. Aber auch sonst war im ganzen Land der Teufel los. Bauern in der Provinz ermordeten revolutionäre Bürger und vor allem ihre früheren Herren, deren Verachtung sie empfanden, sowie andererseits Ungläubige und Ketzer. Danton hatte darauf eine einfache Antwort: "Seien wir schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht. Dies ist ein Gebot der Humanität!" Doch wußte bald niemand mehr, was gespielt wurde. In Marseille schickten Antisansculotten Jacobiner aufs Schafott, und bald herrschte der allgemeine Bürgerkrieg. In ganz Frankreich kam es zu föderalistischen Aufständen gegen die Hauptstadt, und es wurden Truppen aufgestellt, die gegen Paris marschierten. Girondisten, Katholiken und Royalisten kämpften gegen die Pariser Regierung der Jakobiner, die dadurch umso geschlossener und radikaler wurde. Ihnen kam allerdings die Ermordung ihres Führers Marat sehr gelegen, weil sie dadurch einen Märtyrer erhielten. Dazu kam die äußere Bedrohung Frankreichs durch eindringende österreichische, sardinische und spanische Truppen. Der ganze Terreur der Revolution ist eigentlich nur durch diese innere und äußere Bedrohung verständlich. Daß das Volk dieser Bedrohung überhaupt standhielt, ist nur dadurch zu verstehen, daß es eben zum ersten Mal ein solches war, das zwar noch in den sich selbst hervorbringenden Geburtswehen lag und sich wohl auch selbst zerfleischt hätte, wenn nicht eben die äußere Bedrohung die eigene Identität erst hervorgebracht hätte. Jetzt entstand zum ersten Mal ein wirklicher Volkskrieg, in dem die ganze junge Nation bedingungslos und uneingeschränkt in den Dienst der Landesverteidigung gestellt wurde.
Natürlich gehört jede Form von Fanatismus zu unserem Skorpion-Thema, auch der religiöse, und in diesem Zusammenhang muß noch der Kult des Höchsten Wesens erwähnt werden. Am 10.11.1793 wurde in Notre Dame dieser neue Vernunft-Kult eröffnet. Die Kathedrale wurde zu seinem Tempel. Eine Schauspielerin spielte dabei die Rolle der Vernunft, und das ganze Opernballett wirkte mit. Der Kult stellte sich bewußt gegen das Christentum, das dabei lächerlich gemacht wurde, doch auch die Götter der Aufklärung mußten Federn lassen, denn die Philosophenbüsten wurden durch diejenigen der Helden der Revolution ersetzt, vor allem der von Marat. Robespierre, der Hohepriester der neuen Religion, ließ sich von der Idee leiten, daß wenn es keinen Gott gäbe, man ihn erfinden müsse. Der Gedanke eines Höchsten Wesens, das die Unschuld beschützt und das Verbrechen bestraft, erschien ihm sehr volkstümlich. Da er selber an der Quelle saß, konnte er auch selbst definieren, was als Unschuld und was als Verbrechen zu gelten hatte, und das sollte sich für seine weiteren Absichten als sehr wichtig erweisen, denn etwa fünf Monate später begann seine eigentliche Diktatur. Den Atheismus bekämpfte er mit den Worten: "In den Augen des Gesetzgebers ist alles wahr, was der Welt nützlich und in der Praxis gut ist. Der Gedanke des Höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele ist eine stete Mahnung zur Gerechtigkeit, er ist somit sozial und republikanisch." In diesem Sinne konnte er nun alle seine Feinde nicht nur als Verschwörer, sondern auch als Atheisten brandmarken. Er verlangte, daß der neue Kult national sein müsse und die ganze Erziehung daraufhin ausgerichtet werde. Wir erkennen hier deutliche Parallelen zum späteren Nationalsozialismus in Deutschland, denn die Rezepte sind immer die gleichen, weil sie archetypisch sind. Am 8.6.1794 erhielt der neue Kult unter Robespierres oberster Leitung seine Weihe, die zum größten aller Revolutionsfeste wurde. Robespierre war eine Napoleon völlig entgegengesetzte Natur, denn statt weltlicher Machtausdehnung ging sein Sinn mehr auf religiöse Überhöhung. Seine Mitstreiter nahmen ihn allerdings bald kaum noch ernst, wenn sie auch seine Macht zu fürchten hatten. Wir wollen uns die genaue Schilderung der Feierlichkeiten ersparen - bezeichnend für ihre Sentimentalität ist die Tatsache, daß dabei auch ein Wagen voller blinder Kinder mitwirkte, die Hymnen auf die neue Gottheit sangen.
Uns gibt dieses aber einen Hinweis auf die eigentliche Natur des Skorpions, der ja an sich von sich aus ebensowenig schrecklich sein muß wie die anderen Zeichen: es ist wie gesagt das Vorstellungsprinzip, das ab 1800 auch erst die Romantik ermöglichte. Denn erst aus dem Zusammenklang von Pluto in den Fischen und Neptun im Skorpion konnte diese entstehen, ebenso wie die Aufklärung eine Folge des Zusammenklanges von Pluto im Schützen und Neptun im Löwen war. Die Romantik entstand aus der Kraft des Vorstellungsprinzipes, dessen Fähigkeit darin liegt, viele Teile zu einem neuen Ganzen zu verbinden - ähnlich, aber mit anderer Tendenz, dem Wassermann-Prinzip. Drastisch, blutig und selbstzerstörerisch genug ging es auch in vielen Werken der Romantik zu, so etwa in Kleists Penthesilea[1], in der aus Liebe, Krieg, Tragik und Tod eine Existenzüberhöhung gewonnen wird: "Zärtlichen Herzen gefühlsvoll geweiht. Mit Hunden zerreißt sie, welchen sie liebet, und ißt, Haut dann und Haare, ihn auf." Aus dem Tierreich kennen wir dieses mörderische Liebesspiel, etwa von Spinnen oder der Gottesanbeterin, das als letzte Konsequenz aber in aller Wollust angelegt ist.
Besonders deutlich geht das Skorpion-Prinzip auch aus einem Brief Friedrich von Hardenbergs (Novalis) an Schiller hervor, in dem es über den Herbst heißt: Die fruchtbare Reife beginnt in Verwesung überzugehen, und mir ist der Anblick der langsam hinsterbenden Natur beinah reicher und größer als ihr Aufblühn und Lebendigwerden im Frühling. Ich fühle mich mehr zu edeln und erhabenen Empfindungen jetzt gestimmt als im Frühjahr, wo die Seele im untätigen Empfangen und Genießen schwimmt und, anstatt sich in sich selbst zurückzuziehn, von jedem anziehenden Gegenstande angezogen und zerstreut wird. schon das Losreißen von so viel schönen, lieben Gegenständen macht die Empfindungen zusammengesetzter und interessanter. Daher fühl ich mich auch nie so reingestimmt und empfänglich für alle Eindrücke der höhern, heiligen Muse als im Herbst.
Der Todeswunsch ist ein typisches Motiv der Romantik - Kleist hatte ihm schließlich wirklich entsprochen, doch ob auch Novalis ihm gefolgt wäre, muß bei seinem ohnehin frühen Tod eine offene Frage bleiben. Lange Zeit nach dem Tode seiner Verlobten Sophie von Kühn hatte er jedenfalls den immer wieder schriftlich festgehaltenen festen Vorsatz, ihr bald zu folgen. Der berühmte Eichendorff-Vers ist also geradezu programmatisch:
Hör' ich das Mühlrad gehen: Ich weiß nicht, was ich will - Ich möcht' am liebsten sterben, Da wär's auf einmal still.
Worum es hier geht, ist die Vereinigung mit dem Umgreifenden und Transzendenten, dem nur im Tode zu findenden Einklang aller Seelen, der sich in dieser Zeit als durchgehender Zug in der Lyrik findet. In Eichendorffs Ahnung und Gegenwart nimmt die Sünderin Romana ein entsprechendes Ende: "...Sie hatte sich gerade ins Herz geschossen. Der müde Leib ruhte schön und fromm, da ihn die heidnische Seele nicht mehr regierte. Er kniete neben ihr hin und betete für sie aus Herzensgrunde."
Aber eigentlich läßt sich eben der ganze Kunststil der Romantik überhaupt nicht ohne das Skorpion-Prinzip verstehen, weil es hier um nichts anderes geht als Umwandlung - Umwandlung alles Naturgegebenen, dem die Empfindsamen und Klassiker noch so sehr nacheiferten, nach den eigenen Gesetzen des menschlichen Geistes. Es sei falsch, schrieb der Theoretiker der Romantik, Friedrich Schlegel, zu sagen, die Natur sei in der Kunst Norm für den Menschen, sondern es müsse heißen, der Mensch sei in der Kunst Norm der Natur. Denn die bloße Darstellung natürlicher oder geschichtlicher Wirklichkeit mache noch keine Kunst aus, sondern bliebe eben bloße Nachahmung; tatsächlich könne eine solche Wiedergabe nur Mittel zur Darstellung dessen werden, was die Kunst eigentlich offenbaren müsse. In diesem Sinne ging es den Romantikern um das Unbekannte, Geheimnisvolle und zu Offenbarende, wie Novalis schrieb. Und Schlegel sagte:
Als die Grundfähigkeit des Bewußtseins haben wir die Einbildungskraft, das innere Dichtungsvermögen, gefunden; dies ist die universelle objektive Kraft im menschlichen Geiste... Der Mensch dichtet gleichsam diese Welt, nur weiß er es nicht gleich... Chaos und Eros sind die beste Erklärung des Romantischen... Aus der Liebe und dem Chaos muß die Poesie abgeleitet werden, alle romantische Poesie ist im engeren Sinne chaotisch... Die höchste Schönheit, ja die höchste Ordnung ist denn doch nur das Chaos, nämlich eines solchen, welches nur auf die Berührung der Liebe wartet, um sich zu einer harmonischen Welt zu entfalten.2