Thema Mundan-Astrologie
- Details
-
Zugriffe: 3786
Seite 1 von 3
Neptun in den Zeichen
(1739-1778)
Neptun im Krebs
(1739-1751)
Die mundane Wirkung Neptuns unterscheidet sich von derjenigen Plutos dadurch, daß sie mehr die Kunst- und Moderichtungen betrifft, während Pluto eher für die politisch bedeutsamen Ereignisse steht. Doch wir müssen das mit Vorsicht sehen. Wenn wir dabei etwas allgemeiner als Entsprechungsebene den Begriff Gesellschaftliche Vorgänge wählen, kommen wir wiederum in Konflikt mit der Einflußsphäre des Uranus. Völlige Abgrenzug ist also niemals zu erzielen. Bisweilen sieht es auch so aus, als hinge das nur von der Aufmerksamkeit des Beobachters ab, denn wer nur das Tagesgeschehen betrachtet, wird darin ebenso stark Neptun wie Pluto wirken sehen, während im historischen Rückblick eher die Kunstentsprechungen auffallen. Als Betrachter kann man dabei nicht ganz ausschließen, daß das auch mit dem jeweils persönlichen Blickwinkel und mit der jeweiligen Quellenlage zusammenhängt. Ein gewisser Grad von Subjektivität ist dabei nicht auszuschließen. Dieses kann jedoch grundsätzlich kein Vorwurf sein, da alle unsere Beobachtungen Subjektives beinhalten. Es kommt also eher auf die innere Kontrolle an, dieses nicht ausufern zu lassen. Ein anderer Punkt betrifft die Wirkungsweise Neptuns, die schwerer zu fassen ist als die aller anderen Planeten - insofern als sie die durch seinen Zeichenstand gegebenen Qualitäten transformiert, d. h. einerseits verstärkt und andererseits vermindert oder auflöst. Selbst im letzteren Fall läuft das jedoch niemals auf eine völlige Relativierung hinaus, da auch dann stets das Thema des Zeichens angesprochen wird. Die Verstärkung oder Verminderung scheint aber vom Selbstbestimmungsfaktor der jeweiligen Gesellschaft abzuhängen: wir werden deshalb von Fall zu Fall auf diese oder jene Wirkungsweise zu sprechen kommen, selten jedoch auf beide gleichzeitig.
Nachdem wir die Plutodurchgänge behandelt und einen vollen Rundgang durch die letzten 250 Jahre in der großen politischen Linie absolviert haben, können wir uns also nun den etwas dahinterliegenden Dingen zuwenden, ohne die aber die Hauptlinie nicht zu verstehen wäre. Wir beginnen wieder an der Marke 1740 und finden dort den Neptun im Krebs stehen. Der Krebs steht wie gesehen mundan hauptsächlich für das Volk, aber auch für die Thematik der Frau, hier auch für vegetative Formen und eine im allgemeinen etwas feminine Geschmacksrichtung.
In der Tat hatten die Frauen zu dieser Zeit die gesellschaftlichen Fäden voll in ihrer Hand - zumindest in Frankreich, das zu dieser Zeit kulturell führend war - weshalb uns die Verhältnisse in anderen Ländern auch weniger interessieren, da die astrologische Entsprechung immer nur dort voll zum Ausdruck kommt, wo die Dinge bedeutsam sind. Wir werden mitten hineingeführt in das Rokoko, das vor allem von Frankreich unter Ludwig XV. beherrscht wurde und in seinen stilistischen Ausformungen als ausgesprochen feminin bezeichnet werden kann. Zu dieser Zeit stand die Institution der von einflußreichen Frauen der Gesellschaft geleiteten Salons in ihrer höchsten Blüte. Zwar hat es auch nach der Revolution noch vereinzelte Salons gegeben wie etwa denjenigen der Frauen De Stael oder Recamier und dann auch in Deutschland diejenigen einflußreicher Jüdinnen wie Henriette Herz oder Rahel Varnhagen, doch die eigentliche Zeit der Salons war die hier zu behandelnde Zeitspanne. Niemals zuvor und auch niemals später hat es so viele davon gegeben und niemals waren sie derartig einflußreich für das kulturelle Geschehen. Bekannt waren die Salons der Damen Anville, Aiguillon, Beauvau, Broglie, Bussy, Crussol, Choiseul, Cambis, Dupin, Mirepoix, Houdetot, Marcai, Du Deffand, Èpinay, Geoffrin, Helvètius, De Luxembourg, Necker, La Vallière, De Lespinasse, Forcalquier, Talmont und noch einiger mehr.
Sie alle waren Damen der Pariser Gesellschaft, und Paris war das kulturelle Zentrum der ganzen Welt. Das Leben derer, die sich dieser Gesellschaft als zugehörig empfinden konnten, war im allgemeinen sorglos, zumal sie sich von jeder Transzendenz befreit glaubten, in der sie höchstens etwas Lästiges gesehen hätten. Was gibt es besseres zu tun in einer so vollkommen diesseitigen Welt als das Leben zu genießen und sich kein Amusement entgehen zu lassen? Wenn es deshalb in erster Linie um Konversation ging, so wurde diese zur höchsten Kunst erhoben. Die Gesellschaft war geistreich und charmant, weil diese Eigenschaften die einzigen Tugenden waren, die noch zählten: es war eine venusische Gesellschaft, in der die Frauen schon deshalb dominierten, weil in ihr ihre eigentlichen Stärken zum Ausdruck kamen, und der die Männer sich dadurch fügten, daß sie um die Gunst der Frauen warben und sich dabei selbst deren Tugenden zu eigen machten. Auf dem Schlachtfeld hätten andere Tugenden für sie gegolten und sich demgemäß herausgebildet, hier aber ging es um die Verfeinerung der Sitten, ohne die kein Mann mehr Karriere machen konnte. Es kam oft vor, daß in dem Salon einer Dame außer ihr selbst fast ausschließlich Männer verkehrten, unter denen die Kunst der Konversation bald auch die geistigen Waffen schärfte, womit die Grundlage für die Philosophen der Aufklärung geschaffen wurde, die sich unter Neptun im Löwen zwangsläufig zu einem gewissen Star-Rummel fortentwickelte. Selbst wenn die Salons für die Karriere fast obligatorisch waren, so spielten in ihnen unmittelbar Rangstufen üblicherweise keine Rolle. Adelige und Bürger trafen sich hier wie Gleichberechtigte, und demgemäß wurde auch äußerst freizügig über gesellschaftliche und religiöse Dinge gesprochen - originelle Ansichten hatten bald einen höheren Wert als obligatorische. Die hier verkehrenden Adeligen hatten dabei nichts zu verlieren, sondern konnten sich gegenüber ihren weniger aufgeschlossenen Standesgenossen nur profilieren. Die Revolution schien sich auf diese Weise fast wie von selbst vorzubereiten.
Wenn auch der König ein Mann war, so muß man diese Zeit dennoch als Matriarchat bezeichnen, denn nicht nur das ganze gesellschaftliche Leben, sondern auch die Regierungsgeschäfte selbst wurden von Frauen erledigt - von den wechselnden Mätressen des Königs. Da Europa im Bann des Pariser Lebens stand, hatte das auch Folgen für die gesellschaftlichen Tendenzen in anderen Ländern. Vor allem hatte es Folgen für das ästhetische Empfinden, für die Mode und die Dinge, mit denen man sich umgab, für die Kunst und das kulturelle Leben überhaupt. Es wundert deshalb nicht, daß in dieser Zeit ganz allgemein Dingen eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wurde, die üblicherweise eher von Frauen bevorzugt werden. Die Kunst war vor allem eine Ausstattungskunst; die kleinen Dinge, mit denen man die Räume ausstatten konnte, traten in den Vordergrund und wirkten als solche auf den sie umgebenden Rahmen zurück. In der Tat stand im Rokoko das Dekor und die Ausstattung des Mobiliars und kleiner Gebrauchsgegenstände - vornehmlich solcher, die man keineswegs unbedingt brauchte - im Mittelpunkt und bestimmte mit den an ihnen herausgebildeten Formen sämtliche anderen Kunstgattungen und sogar die Architektur. Gestaltungswürdig wurden Dinge wie Uhren, Spangen, Dosen, Schnallen (vornehmlich Schuhschnallen), Stockgriffe, Anhänger und Schmuckgegenstände aller Art. Die Formen und Dekors waren im wesentlichen dem Krebs entsprechend vegativ, d.h. Pflanzenformen nachempfunden (es sei hier schon ein vergleichender Blick auf den nächsten Neptunstand im Krebs empfohlen, in dem sich der Jugendstil ergibt: die Parallelen sind insofern nicht zu übersehen). Man könnte die Tatsache, daß die Architektur des Rokoko durch einen oft so vollständigen Gegensatz einer schlichten und großflächigen Außenarchitektur zur mehr als üppigen Innenausstattung gekennzeichnet war (siehe etwa die Wieskirche), archetypisch zu begründen versuchen: dem Krebs wird das vierte astrologische Haus zugeordnet - das Haus der Selbstbewahrung also - die archaische Höhle, die immer die Domäne der Frau gewesen ist - die Gebärmutter, die nur von innen erlebt wird, das weibliche Geschlechtsorgan und Muscheln.
Das Barock war noch schwer und mächtig gewesen, das Rokoko dagegen war trotz vieler übernommener Stilelemente, die eine Abgrenzung zumal in der Außenarchitektur oft schwierig machen, spielerisch und tänzelnd - hübsch, lieblich, angenehm, anmutig, galant. Das wohl wichtigste Kriterium ist die erwähnte Tatsache, daß hier alles von der sich selbst genügenden und auf nichts anderes hinweisenden Dekorationskunst ausging, der sich alles andere zu fügen hatte. Die Bilder wurden oft nur für eine ganz bestimmte Umgebung gemalt, für einen bestimmten Platz in einem bestimmten Zimmer, auf den sie in ihrer Farbgebung und Komposition abgestimmt waren. Konsequenterweise traten dadurch die Gobelinkunst und die Kunst der Deckenmalerei in den Vordergrund. Die Kompositionen Tiepolos z.B. waren frei und improvisiert, und oft gab der Maler weder sich selbst noch seinen Auftraggebern Rechenschaft über das auf seinen Bildern Dargestellte: die Capricci waren vornehmlich Bildserien, in denen die Originalität der Einfälle dominierte. Man hätte sich ja auch den Hals verrenkt, wenn man sich eingehender mit den Bildern beschäftigt hätte.
Als Technik war im übrigen die Pastellmalerei sehr beliebt, in der übrigens eine Frau zu besonderem Ruhm gelangte und den Stil der Pariser Maler durch ihre Portraits vornehmer Damen stark beeinflußte: die Italienerin Rosalba Carriera. Boucher malte zur gleichen Zeit Bilder wie Leda mit dem Schwan oder Diana nach dem Bade, Chardin malte Das Tischgebet, Lancret Die Flötenstunde, Pesne Friedrich der Große als Kronprinz.
Die Bildhauerei wurde dagegen eher stiefmütterlich behandelt, da große Skulpturen nicht zur Ausstattung der Innenräume geeignet waren. Erst als die Bildhauer sich dem neuen Trend anpaßten - was aber nicht allen gegeben war, so daß neue Namen unter ihnen auftauchten - und sich auf die Gestaltung von Kleinplastiken einrichteten, spielten sie wieder eine gewisse Rolle. Das eigentliche Material war nun für ihre Arbeiten das Porzellan, das später farbig bemalt wurde - vornehmlich mit hellen Farben, die zu denjenigen der Bilder und Kostüme paßten. Diese kleinen Porzellanfiguren geben am besten den Geist des Rokoko wieder: sie stellen vor allem junge und galante Menschen dar, deren Handlungen stets völlig diesseitig sind - man mied jedes Pathos, alles Dunkle und Schwere oder gar Schwerfällige. Demgemäß war auch die Musik, die üblicherweise für bestimmte gesellschaftliche Anlässe komponiert wurde: sie war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weltlich und epikuréisch.
Wie Ludwig XV. überließ auch Kaiser Franz (Stephan) I. das Regieren lieber seiner Frau (und "Mitkaiserin") Maria Theresia (ab 1740). Im Jahre 1741 usurpierte zudem Elisabeth Petrowna den russischen Thron, so daß der einzige bedeutsame Mann dieser Epoche nur noch Friedrich II. von Preußen war, der sich zudem gleich in einen Krieg stürzte: wie paßt das zum Krebs? Die Antwort verweist auf das Motiv: er wollte für sein Volk das schlesische Gebiet erobern. Dieses Motiv war in der Tat sehr deutlich ausgeprägt; er war insofern ein Visionär mit einer großen Staatsidee. Außerdem kann es nicht darum gehen, alle Dinge einer Epoche einer bestimmten Konstellation zuzuweisen - es geht immer nur um den Zeitgeist insgesamt, für den allerdings die wichtigen Persönlichkeiten sehr maßgeblich sind. Wir sprechen hier ja auch nicht so sehr von der politischen Linie, sondern mehr vom geistigen und kulturellen Hintergrund, und insofern war der preußische König durchaus ein Kind seiner Zeit, der sich ganz am Geiste Frankreichs orientierte, was nicht hieß, daß er von da alles völlig kritiklos übernahm. Seine Ausfälle gegen die Pompadour sind bekannt und haben ihm politisch sehr geschadet. Wir müssen auch die andere Bedeutung Neptuns im Auge haben, die hier ausnahmsweise (siehe Einleitung) zugleich wirksam zu sein scheint: Neptun löst - unter Umständen - das auf, was durch seinen Zeichenstand gekennzeichnet ist. In der Tat gab es in dieser Zeit praktisch gar kein Volk mit einer eigenen Identität, vielleicht mit Ausnahme von England und Holland. Friedrich II. und Maria Theresia forderten große Opfer von ihrem Volk, und das französische Volk war offenbar nur dazu da, den schmarotzerischen Adel zu finanzieren, während es zugleich geistig auf diesen orientiert war. Das ging so weit, daß bürgerliche Menschen und Handwerker die abgetragenen Kleidungsstücke der Adeligen trugen, so daß es manchmal schwer war, Bürger und Adelige in der äußeren Erscheinung zu unterscheiden. Der Unterschied lag aber natürlich in der Art und Weise, wie man seinen Tag verbrachte. Aufgelöst wurde auch die Institution der Familie. Wie bereits erwähnt, hatten die Kinder der Begüterten in der Regel gar keine Verbindung zu ihren Eltern, und es war nicht selten, daß Eltern ihre Kinder ins Findelhaus brachten - wie etwa im Falle Rousseau.